Das adelige Gericht Bliestorf

„Das von Zeit zu Zeit in Bliestorf gehaltene Gericht“

Eine Besonderheit der Lauenburgischen Allodialgüter ist ihre eigene Gerichtsbarkeit (Patrimonialgerichtsbarkeit). Das heißt der Gutsherr war gleichzeitig auch oberster Gerichtsherr, Besitzer dieses Settinks (Gerichtsgemeinde) und war berechtigt nach geltender Rechtsordnung Recht zu sprechen.

  

















Das Bliestorfer Gerichtssiegel aus dem Jahr 1738 mit dem Wappen der Familie von der Sode

Das Bliestorfer Gericht hat eine über fünfhundertjährige Geschichte. Schon die Familie von Krummesse besaß das ritterliche Privileg der Hohen- und Niederen Gerichtsbarkeit. Dieses Privileg, ein Bestandteil der Gutsherrlichkeit war fest mit dem Grundbesitz verbunden und wurde beim Kauf des Gutes miterworben. So lesen wir schon in der Bestätigung des Verkaufvertrages von 1380 „mit alme rechte vnde richte, hoghest vunde sidest, to richtende in hand vnde in den hals, vnde mit allen anderen richten, de dar en binnen sint,“. So überläßt 1424  Gerd von Crummesse den beiden Lübeckern Johann Schwager und Johann Warendorp das ganze Dorf Bliestorf mit „alle recht vnde richte, ouerst, myddelst vnde sydest, in hals vnde in hand, vnde allen denst, bede,(…)“. Und noch im Pachtkontrakt von 1765 heißt es unter §9 das der Gutsherr, Cuno Marquard von der Sode  „nicht weniger die Hohe- und Nieder-Gerichte für sich und seines Hauses Wirtschaft behält.“ Die Unterscheidung von Niederer und Höherer Gerichtsbarkeit grenzt ab nach Tatbeständen oder (was letztlich auf selbe hinausläuft) nach der Höhe der Bußen. Die Höhere Gerichtsbarkeit betrifft die Blutsachen, in denen „an Halz und Hand“ geurteilt werden konnte. Allgemein gilt, daß die Gerichtsbarkeit ein nutzbares Recht ist. Die Bußen können hoch sein, auch Blutsachen – wie etwa Todschlag – werden in der Regel mit Geld gesühnt.

Der Erwerb der Gerichtsbarkeit war u.a. deshalb so interessant, weil man mit ihm eben auch die „Bede“ (jährliche Steuer) und „Brüche“ (Brüche = Bußgelder, Strafengelder) erwarb. Diese Einnahmen fielen normalerwiese dem Landesherrn zu.

Die Richtstätte des Bliestorfer Settinks war seit Alters her der Grevenbarg. Ob der Grevenberg je als Hinrichtungsstätte genutzt wurde, konnte aus den gesichteteten Akten nicht nachgewiesen werden. Da es aber laut einheimischer Überlieferung dort Spuken soll, könnte zumindest ein grausiges Geschehen wie eine Hinrichtung dort stattgefunden haben. – Vielleicht fürchtete man sich aber auch nur vor den dort ehemals vorhandenen Hünengräbern. Am 2. Juni 1685 erfolgte eine Verhandlung zwischen der Stadt Lübeck und Thomas von Wetken auf  Trenthorst. An der Scheide des Lübschen und Grinauer Feldes sollte ein großer Grenzstein errrichtet werden. Es wurde anerkannt, dass das dort befindliche „Hochgerichte oder Galgen“ auf „Herrn v. Wetken Territorium streitig stehet“ und die Scheide an die 48 Fuß unter demselben befunden“ worden sei.

In der Hierachie der Verwaltung stand das Allodialgut Bliestorf auf der selben Stufe wie die ehemaligen Ämter Ritzerau und Behlendorf (Lübsche Zeit) bzw. ab 1747 wie die Ämtern Steinhorst oder Schwarzenbek.

Bis 1747 war die nächsthöhere Verwaltungsinstanz, das Landgericht (Landting) in Mölln, da Bliestorf während der lübschen Zeit und davor (1359-1747) zur Vogtei Mölln gehörte. Schon 1380 weist der Herzog ausdrücklich darauf hin, dass die Bliestorfer Bauern dem Landgericht zu Mölln verpflichtet waren und auch in Zukunft sind, „de Bur in desseme gude, de vnse lantdink vore to Molne plichtig weren to sokende, ok na soken scholen.

Die Verwaltung der Möllner Vogtei oblag dem Lübecker Rat, später der Lübecker Stadtkämmerei der das Möllner Landgericht untergeornet war. Als Bestandteil des Herzogtum Sachsen-Lauenburg hatte es nach dortigem Recht zu richten, das Lübsche Recht fand hier keine Anwendung.  (s.  revidierte Fassung der Hofgerichtsordnung von 1681 Bliestorfer Reg.).


Titel der Hofgerichtsordnung von 1681


Das Landgericht in Mölln setzte sich aus dem Vogt (Stadthauptmann) und zwei Gerichtsherren, die Mitglieder des Möllner Rates waren, zusammen und bestand bis Ende des 16. Jhdt.

So meldet Christoph Tode 1573 dem Landgericht zu Mölln, die vacant gewordenen Stelle des Hinrich Dürkops in Bliestorf und teilt die Neubesetzung mit dessen Sohn Jochim mit. Als dieser aber aus unbekannten Gründen 1576 mit seiner Frau die Stelle wieder verläßt und seine Mutter mit noch unmündigen Kindern zurückbleibt, bittet C. Tode den Lübecker Rat um Anwendung des „Sächsischen Rechts“ um die Stelle wieder neu besetzen zu können.
Die Besetzung der Hofstellen wurde vom Rat, später von der Kämmerei überwacht (s. Hausbriefe), um u.a. zu verhindern, dass die Grundherren den Besitz einziehen, um ihre eigenen Ländereien zu erweitern.

Aus den Berichten und Büchern des Ritzerauer und Behlendorfer Amtes können wir auch einige Rückschlüsse auf die Bliestorfer Verhältnisse machen. So wird das Bliestorfer Gericht wohl nur einmal im Jahr getagt haben. Die traditionelle Gerichtszeit war im 16. und 17 Jhd. der Herbst, da zum anstehenden Martinitage (11.11.) viele Pachtverträge u.ä. ausliefen und neu abgeschlossen werden mußten. 1827 heißt es dazu „das von Zeit zu Zeit in Bliestorf abgehaltene Gericht“, woraus man wohl schließen muß, dass das Gericht nur im Bedarfsfall abgehalten wurde.

Der Gutsherr wird diesen Termin durch den Vogt verkündet haben und sämtliche Bauernschaft hatte unter Strafe zu diesem Termin zu erscheinen. Vor Beginn der Verhandlung wurden Leute „aufgelesen“, die in die Findung gingen. Unter den bäuerlichen Gerichtsbeamten war besonders wichtig der Dingvogt. Dessen Pflicht es war, auch bei einer Hinrichtung zugegen zu sein. Dieser sogenannte Burensprok (Bauern­gericht/ -urteil) fand in Bliestorf wohl früher auf dem Grevenberg statt und endete wie in den übrigen lübschen Gebieten Mitte des 17. Jhd.

Der gutsherrliche Schreiber (s.u.) hatte über das Jahr einzelne Straftaten in einem Buch vermerkt, und der Bauernvogt sowie die Hausleute wurden befragt ob etwas vorgefallen sei, dass jetzt zur Verhandlung kommen sollte.

Später dann, wurden die Verhandlungen von einem Justitiar (Gerichtshalter s.u.) abgehalten. Dieser wurde vom Gutsherrn bestellt und konnten von diesem auch wieder gekündigt werden. Der Schreiber stand ihm zur Seite und protokollierte die Verhand­lungen “vom Munde in die Feder”. Meist waren auch benachbarte Gutsherren als Beisitzer zugegen. Über erste Protokolle erfahren wir, beginnend mit dem Jahre 1715, aus der erhaltenen Bliestorfer Registratur vom Jahre 1858.

Neben diesem ordentlichen Gerichtsverfahren behielt sich die Gerichtsherrschaft nach mittelalterlicher Rechtsanschauung in einer Reihe von Fällen, die besonders in Holzfreveln, Tätlichkeiten und ähnlichem bestanden, die direkte gütliche Verhandlung mit dem Übeltäter vor. In diesem Falle kam es sogar vor, dass ein Angeklagter, wenn die Sache schon an das Landgericht gekommen war, sich noch bereit erklärte, „den Herren den Willen zu tun“.

Durch die zunehmende Verwaltung und aus wirtschaftlichen Interessen der Hansestadt Lübeck, tritt mit Beginn des 17. Jhd. die Lübecker Kämmerei anstelle des Rates und übernimmt die Territorialverwaltung, die dann ab 1747 vom Hofgericht in Ratzeburg abgelöst wurde. Die Kämmerei wie auch später die königl. Regierung in Ratzeburg übersandte dem Grundherrn die neuesten Dekrete und Verordnungen, damit dieser stets auf dem aktuellen Stand blieb und nicht womöglich Recht wider dem Rat bzw. der Königlichen Regierung sprach. So gehörten zur Ausstattung des Bliestorfer Gerichtes nachweislich die Hofgerichtsordnung von 1681, die durch o.g. Dekrete und Verordnungen ständig ergänzt wurde.

Zur Zeit derer von Rumohr und von Schrader waren Bliestorf und Grinau zu einem Gerichtsbezirk zusammengefaßt (1789-18xx). Das Adlige Gericht Bliestorf behielt seinen Platz in der Gerichtsbarkeit bis 1870, in der Verwaltung bis 1889. Die Nachfolge trat dann das Amtsgericht in Steinhorst an.

  












Bliestorfer Gerichtssiegel von 1763 mit dem Wappen von Johann Vincent von Müller


Aufgaben des Gerichtes

Höfesachen: Erstellung von Hausbriefen, Pachtverträgen, Ablösungen, Grundbuch­eintragungen, Hypotheken, Forderungen, Erbangelegenheiten, Bestimmung von Vormündern,  Ehekonsenz, Nachlässen, Vaterschaftsklagen, Alimenten, Unzucht,  aber auch Tätlichkeiten, Holzfrevel und Diebstahl, Wilderei, sowie Musterung, Einberufung, und Einquatierungen.

Die in den Jahren zwischen 1760 bis 1858 verhandelten Fälle sind zumindest in Kurzversion in der Bliestorfer Registratur erhalten geblieben und geben einen groben Überblick über die Geschehnisse jener Zeit. Aber schwere Verbrechen sind nicht darunter, nur kleine Diebereien, Tätlichkeiten, Wilddieberei und eine versuchte Erpressung. Wobei der angebliche Schuß auf einen franz. Chassseur, ausgeübt vom Schmied Landau und seinen Söhnen wohl der brisanteste Fall scheint. Allerdings scheint im Krummesser Kirchenbuch unter den Begräbnissen 1716 eine Hinrichtung überliefert zu sein. Denn dort wird eine Margarete (Grete) Carstens aus Schenkenberg als Mörderin bezeichnet und als Kommentar ist dazu gesetzt “umbs Leben gebracht”.

Leider sind nur einige wenige Gerichtprotokolle aus dem 19. Jhd. erhalten, so z.B.:

20. Oktober 1850
Die Bitte um Erlaubnis des Altenteilers Käselau, Bliestorf seine beiden Kinder aus der Bliestorfer Schule nehmen zu dürfen und in die Grinauer Schule zu schicken, da der Lehrer Döpke in Bliestorf seine Tochter früher mißhandelt habe und er seine Kinder nicht einer neuen Gefahr aussetzen möchte.

14. April 1867
Der wegen Tätlichkeiten in Untersuchung gezogene Schmiedegeselle Johann Heinrich Peter Groth aus Bliestorf und dessen ungewisser Verbleib.

19. Dezember 1868
Jochen Meier aus Bliestorf hat am 19. Dez. 1868 eine Fracht Birkenreiser im Revier am Totenweg geschnitten.

15. Februar 1870
Der Tagelöhner Hr. Käding aus Bliestorf  hat am vergangenen Sonntag morgen im Bliestorfer Forstrevier in dem durchforsteten Laubholzbestande im Birkenzuschlag 20 Stück Birken und Erlen abgeschlagen und entwandt.

So auch der Altenteiler Claus Ahrens aus Bliestorf, hat am vergangenen Sonntag abends 11 Uhr im Sacksriede 9 Stück Hainbuchen und eine Weide abgehauen und entwandt.

11. Oktober 1859
Der Schuster Johann Hinrich Meyer aus Bliestorf ./. den Einwohner Heinrich Dohrendorf wegen Grenzbeschädigung

Margerethe Dürkop ./. Johann Galley wegen Schwängerung und weitere Vaterschaftsklagen.

26. August 1867
Der Bauernvogt Krieger und Consorten in Bliestorf, Kläger wider den 1/2-Hufner Hinrich Krieger daselbst beklagend wegen Konkurenz zu div. Gemeindeausgaben.




Justitiare

1767 Hatthof
1770 Braband, J.E.
1773 Wagner
1777 Kirchhoff, G.
1788 Vocke, Fr.
1792 Ackermann, M.
1796 Lembke, Paul Christian Nicolaus; Commissar der HL-Kämmerei, Advokat u. Niedergerichts-Procurator seit 1784, lebt noch 1848
1821 Reiche, von, Hauptmann
1821 Wickede, von, Dr. Friedrich , Mölln
1829 Bocker, D.
1847 Sponagel, Justizrat, † 1856
1856 Sachau, Carl Lorenz Theodor Joh., Ratzeburg
1862 Hornborstel, Auditor


Schreiber

1736 Michaelsen, Friedrich
1783 Krull, Herman Carl > Kastorf
1781, 1790 Hemsen, Christian Detlef
1819 Scharnweber
18__  Hansen
1822 Meyer, Ferdinand

Candidaten

1780 Alberti, Gustav Friedr. Otto, *1756 Stuhr/Oldbg.,† 1780 Krummesse

Gerichtsvögte

1782 Schomaker, Friedrich Conrad
1807 Gläu, Joh. Heinr., † Bliestorf 1833
1848 Rümer
1866 Otte, Ludwig Heinrich